Weihnachtsmärkte in Gefahr - Ausweg Genussmarkt?

Shownotes

Einst war die Adventszeit besinnlich, heute ist sie ein Sicherheitsrisiko. Immer mehr Städte sagen ihre Weihnachtsmärkte ab – aus Angst vor Anschlägen oder wegen explodierender Kosten für Sicherheitskonzepte. KOMMUNAL-Chefredakteur Christian Erhardt-Maciejewski erklärt im ausführlichen Gespräch mit dem Sender Kontrafunk bei Achim Winter, warum das so ist, welche Alternativen Kommunen prüfen – und warum trotzdem Hoffnung bleibt.

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Ja, die Weihnachtsschoppingenzeit war ja ursprünglich eine besinnliche Zeit. Die Bayern sagen ja sogar "Staadezeit", also eine, in der es still wird im Land. An sich eine ganz schöne Vorstellung und sie scheit jetzt in bestimmten Städten ja wieder bar zu werden. Wegen einer allgemeinen Betrugungslage sieht man sich nämlich gezwungen, öffentliche Veranstaltung, also insbesondere Weihnachtsmärkte, zu überdenken. So wurde jetzt gerade der Marburger Markt, der Schauplatz der letztenjährigen Terror-Tragödie abgesagt. "Staadezeit" in Hessen also. Zu dieser traurigen Entwicklung begrüße ich den Herausgeber des Magazins "Kommunal" Christian Ehrhardt. Hallo, lieber Herr Ehrhardt. Ja, schön. Guten Abend. Hallo. In Marburg wurde jetzt der Weihnachtsmarkt abgesagt. Ist diese Entscheidung endgültig und was wissen Sie darüber? Also, sie ist noch nicht endgültig, sondern es heißt erst mal, das Sicherheitskonzept war lückenhaft. Das heißt, wichtige Elemente wie Zufahrtsschutz, Fluchtwege, technische Sicherungen sind dem noch unzureichend. Jetzt hat die Stadt Backdeburg die Möglichkeit, das noch mal nachzubessern, um dann möglicherweise das Ganze doch noch genehmigt zu bekommen. Ob das passiert, ob das genehmigt wird danach, ist ziemlich unsicher, weil das gibt es für ganz, ganz viele Städte im Moment. Das nennt sich die sogenannte abstrakte Terrorgefahr. Das heißt, niemand kann sagen, ob nächste Woche möglicherweise diese Stufe wieder etwas höher ist und dann noch mehr Sicherheitsmaßnahmen greifen müssen oder ob sie wieder heruntergestuft wird. Das ist tatsächlich sehr, sehr kurzfristig, zwei, drei Tage vorher wohl möglich erst vor Öffnung der Märkte in ganz Deutschland immer wieder möglich. So dass man kalkulieren kann. Das klingt ja nach wahnsinnig viel Geld in die Hand nehmen. Gibt es schon Zahlen, wie viele Märkte dieses Jahr das dann nicht schaffen? Also, wir wissen nicht, wie viele Märkte tatsächlich es nicht schaffen. Wir wissen aus der vergangenen Woche aus Oberhaut beispielsweise im Rheinland, die haben gesagt, wir können es nicht schultern. Ein Beispiel vielleicht aus Dresden. Da hatte man in den vergangenen Jahren immer mit Sicherheitskosten von rund 800.000 Euro gerechnet. Wir sind jetzt bei über 4 Millionen, also fünfmal so viel. So, und das gilt ganz für ganz, ganz viele andere Städte auch. Und wir haben die Gefahr und das sieht man und liest man vielleicht nicht ganz so häufig, dass insbesondere kleinere Weihnachtsmerk den kleineren Orten das gleiche Sicherheitskonzept am Ende vorlegen müssen. Und mit externen Gutachtern, mit allem dran, mit wahnsinnig viel Bürokratie und vielen, vielen Zetteln, die da ausgefüllt werden müssen. Das ist dafür, dass dann hinterher vielleicht nur 1000 Menschen zu diesem kleinen Weihnachtsmarkt kommen. Ein immens höhere Aufwand, so dass ich die Befürchtung habe, dass vor allem die kleineren Märkte tatsächlich das größere Problem haben, während in Dresden oder wenn es dann stattfinden kann, im Magdeburg, zumindest durch die Masse der Leute, noch eine gewisse Einnahmequelle natürlich auch wieder da ist. Ja, aber was muss man dann für einen Glühwein und eine Wurst ausgeben, wenn man erstmal 4 Millionen rein spielen muss? Das können wir jetzt ausrechnen, natürlich. Ja, ich meine, das müssen die Ständebetreibern ja auch Geld verdienen und so weiter. Das heißt also, da ist ein unheimlicher Wasserkopf von vornherein schon mal da. Was ist dann da jetzt nötig, um dieses Anschlagssäl Weihnachtsmarkt überhaupt sicher zu machen? Als ich erinnere mich, dass Marburg angeblich sensationell gesichert war, es gab eben nur einen Durchfahrtspunkt. Den dieser Typ gekannt hat. Also warum baut man keine schöne Mauer-Trom rum oder benutzt irgendwie ein Bergwerk, wie in Goslar wird das, glaube ich, der Weihnachtsmarkt in den Bergwerk verlegt? Dass man eben sagt, okay, Weihnachtsmärkte werden jetzt Veranstaltungen in bunkern. Also Weihnachtsmarkt im Bergwerk gibt es tatsächlich schon länger, das haben die nicht aus Sicherheitsgründen gemacht, sondern es ist tatsächlich eine besondere Weihnachtsmarkt jedes Jahr sehr, sehr schön, kann ich nur empfehlen. Aber nein, wir haben absurde Sicherheitsrituale, da liegt eigentlich das Problem. Also wir kennen das, da müssen Rentnerinnen am Einlass erst mal ihr Taschemesser abgeben, dann werden der LKW-Sperren mit zwei Fahrern, ich weiß auch nicht so richtig, warum da zwei Fahrer drin sein müssen, also ein Riesensicherheitsapparat, das wird auf der einen Seite gemacht. Aus der Angst heraus, man könne irgendetwas nicht machen, also das ist so ein bisschen nicht leben, um nicht zu sterben. Man hat, das muss man ganz deutlich sagen, niemals eine absolute Sicherheit. Und das hat auch im Maktebuch sehr, sehr deutlich gezeigt, der hat genau diese eine Sicherheitslücke, die es irgendwo gab, tatsächlich dann ausgenutzt. Das wird am Ende überall der Fall sein. Das heißt, 100% Sicherheit kann niemand garantieren. Die Frage ist einfach, wie hoch wertet man diesen Sicherheitsaspekt? Oder sagt man, beispielsweise, was würde passieren, wenn wir Weihnachtsfest, was ich sehr bevorworten würde, als immaterielles Kulturerbe zum Beispiel schützen würden, dann würde man nicht nur Fördermittel zum Beispiel auch bekommen, sondern es würde Gebehörden tatsächlich zwingen, Genehmigungen oder Beigenehmigungen, diese kulturellen Werte eben viel, viel stärker zu berücksichten. Es erhöht also auch symbolisch ein bisschen den Wert und auch die öffentliche Aufmerksamkeit. Also es gibt Möglichkeiten, diese Sicherheitsstufen auch ein wenig herunterzufahren. In dem Wissen 100% Sicherheit gibt es nie. Was sind denn Ihre Tipps? Soll man Vormittags gehen, Abends gehen, an die Randbezirke von Weihnachtsmärkten oder was soll ich da als ängstlicher Hypohonda tun, falls ich Angst vor einem Anschlag habe? Also, beruhigt reingehen. Es gibt, wie gesagt, diese Sicherheit nicht. Ich empfehle tatsächlich nicht dann auf einem großen, großen Stadtweihnachtsmarkt zu gehen, wenn am Samstagabend dort extrem viel Trubel ist, weil da habe ich immer nur wenige Meter für mich zum Gehen. Das ist völlig klar. Auf kleineren Weihnachtsmärkten sehe ich das Problem nicht. Und wenn Sie am Vorabend um 17, 18 Uhr gehen und es jetzt nicht gerammelt voll ist, sag ich mal, dann ist die Gefahr auch relativ gering. Also, ich würde einfach versuchen, diese Angst mal nicht allzu hoch zu hängen. Die entsteht übrigens, das hat sich mit Sicherheitsgefühl zu tun. Ganz häufig, genau dann, wenn Sie dort lauter Betonpolar sehen, diese Lego Merkel wie die, Merkel wie die so schön heißen, das führt tatsächlich zu einem Unsicherheitsgefühl bei den Menschen, wenn auch zu viel Polizeipräsenz da ist. Da gibt es diverse Umfragen und Studien zu. Das heißt, also lassen Sie sich davon nicht verunsichern. Das bringt nichts. Und wenn was passiert, dann passiert was. Aber die Wahrscheinlichkeit ist Gott sei Dank immer noch relativ gering. Genau, das ist so eine Art Triage. Irgendjemand muss es erwischen und es kann sein, dass ich das dann bin. Das ist ein gewisser Fatalismus. Jetzt habe ich gehört, dass man das auch durch Umwitmung die Weihnachtsmärkte auch anders nennen kann, Genussmärkte und dann ist die Sache gelöst. Stimmt das? Leider nicht ganz so. Das klingt erst mal tatsächlich sehr, sehr einfach. Also man ist bei einem Weihnachtsmarkt im Bereich der Veranstaltung, muss man also Sicherheitskonzepte entsprechend einer Veranstaltung wie bei einem Kanal- und Matthias-Reimkonzert oder so etwas machen. Ein Genussmarkt hingegen wird wie so ein Wochenmarkt eingeschuft. Und das verschafft dann der Kommune viele Vorteile. Die hat dann eine Sonderstelle, vereinfachte Genehmigung und so weiter. Klingt gut. Aber erst mal, es gibt massive Voraussetzungen. Also es gilt nicht gleiche Bude, gleicher Glühwein, aber weniger Bürokratie. Bei solchen Märkten muss man erst einmal ganz klar sagen, die müssen kommunale oder regionale Produkte im erster Linie haben, also Glühwein, Zimtstern, solche Dinge. Handwerk darf nur eine Nebentätigkeit sein, weil ein Wochenmarkt verkauft eben im Normalfall in kasterlinie Lebensmittel. Das muss im Mittelpunkt stehen. Wenn sie einen Kinderkarussell haben, dürfen sie es auch schon nicht mehr umwitmen. Also das klappt schon mal wieder nicht. Das heißt, das funktioniert nur bei ganz bestimmten Märkten und auch davor warne ich in dem Augenblick. Das haben jetzt eine ganze Reihe Kommunen gemacht in den letzten zwei, drei Jahren. Ich weiß es aus Schweinfurt, dieser Genussmarkt am Schillerplatz in Karm, nennt sich das Karmagenussmarkt. In Cottbus wird darüber gerade diskutiert, ob man das nicht einfach umwitmen kann in so einen Genussmarkt. Aber, und das muss man dann auch sagen, das kann natürlich, wenn sie dann trotzdem Plakat irgendwo hinhängen, Weihnachtsmarkt, kann der erste Bürokrat auch schon wieder auf die Idee kommen, halt, das geht aber nicht, wenn da Weihnachtsmarkt steht. Dann müssen sie es auch anders nennen. Und ich warne ein bisschen davor, Gott sei Dank sind auf diesen Genussmärkten bisher keine groovierenden großen Dinge passiert. Wenn aber der erste Anschlag auf so einem umgewittmeten Genussmarkt passiert, dann sage ich Ihnen, wird das gleiche Sicherheitskonzept wieder greifen wie vorher auch. Das heißt, eine langfristige Lösung für Kommunen ist das definitiv nicht. Kurzfristig würde ich sagen, wenn sie die Paar Aussetzungen geschaffen haben, machen sie das, lohnt sich zumindest die Sicherheit dieses und vielleicht nächstes Jahr in den Weihnachtsmarkt betreiben zu können. Aber langfristig glaube ich nicht, dass das die Lösung ist. Genau, es gibt also keine Lösung. Das heißt auf gut Deutsch, solange die Betrungslage so ist wie sie ist, wird das so weitergehen und wir müssen genau damit reagieren, was wir jetzt zwar tun. Indem wir alles aufrüsten und quasi die Weihnachtsmärkte im Grunde genommen sterben sehen, wenn ich das genau ins Raus gehöre, damit in Riesenkosten. Also so pessimistisch würde ich niemals sein. Also wie gesagt, wir haben zum einen Möglichkeiten auch politisch dort Einfluss zu nehmen. Weihnachtsfest, das hatte ich gerade schon gesagt, als immaterielles Kulturerbe. Das gibt Fördermittel, das gibt eine andere Abwägung zwischen Sicherheit und diesem kulturellen Wert. Ich empfehle zudem, das kann auf länderebene, das kann auf regionaler Ebene auch passieren, eine Art Fond einzurichten, Sicherung von Weihnachtsmarktkultur. Gespeist aus der Kultur, Tourismus, Budgets usw. oder auch aus dieser Umschichtung der häufig mehr ziemlich zweifelhaften NGO-Programme. Ich glaube, dass das Geld dort besser angelegt wäre, wenn wir darf Kulturförderfonds einrichten würden, wo dann ganz banal Sicherheitssperren, Schulungen, Technik untereinander ausgetauscht werden kann zwischen den Kommunen, wo es zentral vom Bund oder vom Land angeschafft wird und die Kosten nicht immer auf der Kommune hängen bleiben. Die haben das Problem, dass sie zwar ein Viertel aller Leistungen, die in Deutschland erbracht werden, von den Kommunen kommen, die Kommunen kriegen aber nur ein Siebtele der Einnahmen. Da merken Sie schon, da ist irgendwo ein Ungleichgewicht. Sie haben fast nirgendwo mehr sogenannte freiwillige Aufgaben in Ihrem Haushalt. Das sind im Durchschnitt in Deutschland über das Runde 3% aller Ausgaben in einem Haushalt einer Stadt, die sie noch irgendwie frei vergeben können. Dazu gehört dann das Geld, das ich für den Weihnachtsmarkt ausgebe. Sie merken, das geht dann zulasten der Schule, das geht zulasten des Kindergartens. Das will man auch nicht. Deswegen wäre der Bund, während die Länder gut beraten, tatsächlich an der Stelle einzuspringen. Übrigens Terrorgefahr ist Aufgabe des Bundes. Das darf man nämlich vergessen. Also die Sicherheit zu gewährleisten gegen Terroranschläge ist keine lokale Aufgabe, sondern ist Aufgabe des Deutschen Bundes. Ja und das sollte da vielleicht erst mal an anderer Stelle ansetzen mit Maßnahmen. Anstatt Weihnachtsmärkte dann zu unterstützen. Haben Sie denn mal was gehört von wilden Weihnachtsmärkten? Ich sehe jetzt irgendwelche Motorradfahrer in Waldstücken, die dann einen wilden Weihnachtsmarkt mit Grillen und Güwein veranstalten. Das wäre dann vielleicht die Lösung, dass die Terroristen vorher nicht wissen, wo es ist. Und es gibt so eine Art Wild-Weihnachtsmarketing. Ja, die Frage ist nur, ob das dann auch alle Bürger finden oder ob alle jetzt wild in den Wald rennen. Das kenne ich mehr so von Waldparties, das machen junge Leute sehr gerne. Weil der Corona-Zeit sehr, sehr beliebt. Aber ich habe halt die Befürchtung, dass da kein Stromanschluss ist. Also den Glühwein kann ich da auch nicht warm halten. Und B muss es dann auch jemand finden. Also mag im Einzelfall vielleicht eine gute Idee sein. Ich glaube für einen etwas größeren Markt klappt das auch am Ende leider nicht. Ja, gut. Wunderbar. Ganz herzlichen Dank Herr Erhard. Herzlichen Dank, das war sehr aufschlussreich. Nicht immer schön, aber aufzusreich. Ja, genau wie in den Bayerischen Schulen ist das ein Sympon der demokratischen Entwicklung unserer Zeit, deren Konsequenzen und Folgen nur schwer abschätzbar sind. Wie sagt man da als Journalist immer so schön, das bleibt abzuwarten. Ja, nach meiner Bescheid in Einschätzung und ich bin natürlich pessimistischer als Herr Erhard, ist die Prognose aber eher schlecht. Es wird wohl darauf hinauslaufen, dass man seinen Punsch allein oder mit Freunden zu Hause trinkt.